Der Hitzkopf, der aus der Kälte kam

Zum 20. Todestag von Richard Burton

Von Marc Hairapetian

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„Er war ernsthaft, charmant und besaß ungeheures technisches Geschick. Doch war
er sehr wild und ständig von Skandalen umgeben. In Bühnenkreisen hätte man das
nicht gebilligt. Aber für einen Filmschauspieler ist das ganz gut.“
Sir John Gielgud (nach Richard Burtons Tod 1984)
„Entgegen allem, was die Leute so von mir denken, bin ich ein Einzelgänger. Meine
schönsten Stunden erlebe ich zwischen Dämmerung und Dunkelheit, wenn ich
allein bin. Dann schreibe ich in mein Tagebuch. Das habe ich immer getan. Vor so
einem Stück Papier muss man aufrichtig sein mit sich selbst, mörderisch
aufrichtig. Dann frage ich mich: Was war gestern? Und manchmal muss ich mir die
Antwort geben: Nichts. Wo bin ich hingegangen? Nirgendwohin. Was habe ich
gedacht, erfahren, geredet? Blödsinn!“
Burton über Burton (1974)
Er war ähnlich wie der kürzlich verstorbene Marlon Brando ein sowohl
körperbetonter als auch im höchsten Maß intelligenter Schauspieler, der bei aller
Aufwallung des Gefühls eine gehörige Portion Kälte ins Spiel bringen konnte.
Unvergesslich wie er in „Blick zurück im Zorn“ (1958) vor Wut fast den
Straßenboden zertritt – und sich dann mit schmerzendem Fuß auch noch darüber
ärgert, dass der Asphalt die Frechheit besitzt seinen ungestümen Attacken
standzuhalten. Richard Burton (10. November 1925 – 5. August 1984) hätte auf der
Weltbühne einer der Allergrößten sein können, aber sein zügelloser Lebensstil
stand ihm dabei oftmals im Weg. Ein Renaissance-Mensch, maßlos trinkend, das
Leben gierig verschlingend, seinem spektakulären Untergang geradezu ausgeliefert.
Die ersten Spielstätten der englischsprachigen Welt haben Richard Burton meist
ebenso wenig genügt wie Auftritte in teuren, mitunter dennoch schlechten Filmen:
Die ganze Welt war sein Spielplatz.
Richard Burton lebte sein Leben vor den gierigen Augen der Öffentlichkeit. Der
glänzende Darsteller Burton mit der sonoren Stimme und den hellgrünen Augen
stand nur zu oft im Schatten des High Society süchtigen Menschen Burton. Er war
das gefundene Fressen für Klatsch-Kolumnisten, denen er selbst reichlich Futter
gab. Lebensbejahender Macho und tragischer Clown zugleich, brillant und mit
Tiefgang, der mit Vergnügen über sich selbst sprach – und es sympathischer Weise
auch noch zugab: „Andere gehen zum Psychiater, ich gebe Interviews.“
Dem war wohl nur eine Frau gewachsen: Elizabeth Taylor, mit der Burton gleich
zwei Mal verheiratet war – von 1964 bis 1974 und von Oktober 1975 bis zum Juli
1976. Als die Taylor 40 Jahre alt wurde, mietete er für die Party sozusagen das
komplette Stadtzentrum von Budapest und feierte ein barbarisch kultiviertes
Bacchanal. Der Exil-Ungar George Mikes schrieb damals an die „Times“, die
ungarischen Zwingherren des damals noch real existierenden Sozialismus müssten
Burton doch eigentlich dankbar sein – er habe den Untertanen vorgeführt, wie
schlimm der Kapitalismus tatsächlich sei. Zu solchen Polemiken schwieg
Kettenraucher Burton, der seine Vita mit fünf Eheschließungen schmücken konnte,
auf seine Art: Er pflegte im Plural zu trinken. Ein Tageskonsum von zwei Flaschen
Cognac oder Whisky war nicht selten, Zeiten totaler Abstinenz gab es aber ebenso:
„Ich bin.“, brüstete sich der waschechte Waliser, „der einzige mir bekannte
Mensch, der nahezu ausschließlich während der Arbeit trinkt.“ Seine
Verschwendungssucht kannte keine Grenzen. Fairer Weise muss hinzugefügt
werden, dass der Hauptdarsteller seiner selbst auch großzügig war, vor allem was
wohltätige Zwecke anbelangte.
Walisische Schauspieler scheinen eine besondere Spezies zu sein: Den Schock-
Genies, die dieser keltische Stamm der Welt immer mal wieder beschert, ist im
Daseinsmuster ein früher Tod geradezu vorgeschrieben. So auch Burton, der relativ
jung, aber mit einem durch seinen exzessiven Lebenswandel vorzeitig gealterten
Körper starb. „Zeig einem Waliser 1001 Ausgänge und nur auf einem steht
geschrieben `Selbstzerstörung ´ - genau durch den wird er schnurstracks gehen.“
Der Ausspruch stammt von Joe Mankiewicz, den Rouben Mamoulian ersetzenden
Nachfolgeregisseur des von Querelen überschatteten Monumentalschinkens
„Cleopatra“. Er entfuhr ihm voller Verzweiflung, als damals, 1962, der von Burton
verkörperte Marc Anton die Cleopatra namens Elizabeth Taylor nicht nur als Bonus
zur 500.000 Dollar-Gage in sein Appartement abschleppte, sondern sie trotz deren
(Noch-)Ehe mit dem Sänger und Gelegenheitsdarsteller Eddie Fisher auch zum
Weibe nahm: die „schönste Frau der Welt“ als Siegertrophäe für das zwölfte von 13
Kindern des armen Bergmanns Richard Jenkins aus Pontrhydyfen in Glamorganshire.
Burton wurde am 10. November 1925 geboren – zwei Jahre später starb seine
Mutter, so dass ihn die älteste Schwester großziehen musste. Er besuchte die Port
Talbot High School und schon bei den Aufführungen der Schulbühne machte sich
sein ausgesprochen darstellerische Talent bemerkbar. Einer seiner Lehrer, Philip
Burton, den Richard zeitlebens als seinen „zweiten Vater“ bezeichnete, nahm sich
des Jungen besonders an, lehrte ihn Englisch ohne den Akzent seiner Waliser
Heimat zu sprechen und erweckte in ihm die Liebe zur Literatur und dem Theater.
Als Richard später Schauspieler wurde, nahm er in dankbarer Erinnerung an den
verehrten Förderer seiner Jugend den Namen Burton an.
Während des Krieges legten die Geschwister zusammen und schickten ihn nach
Oxford. Im Hörsaal wie auf der Studentenbühne entfaltete sich sein Naturtalent.
Zwei Jahre musste er noch zum Militär, aber vor seinem zweiundzwanzigsten
Lebensjahr stand er als Richard Burton auf den Londoner Bühnen. Die damaligen
Stars des britischen Theaters von Charles Laughton über John Gielgud bis Laurence
Olivier bestaunten – hypnotisiert vor allem von seinem Timbre, das auch
zahlreichen Radio – und Hörspielen („War of the Worlds“) zugute kam – einen neuen
Jago und Coriolan. Nach einem Gastspiel 1950 am New Yorker Broadway mit
Christopher Frys „Die Dame ist nicht fürs Feuer“, begeisterte er bei den
Shakespeare-Festspielen in Stratford Avon unter anderem als jüngster Darsteller
Heinrich des V. der Theatergeschichte. Außergewöhnlich war auch sein Erfolg als
Hamlet mit der Old Vic Company bei den Edinburgher Festspielen.
Zwar entdeckte ihn der aus Ungarn stammende Produzent Alexander Korda bereits
1948 mit „The Last Days of Dolwyn“, doch zum Filmstar avancierte er erst 1952 an
der Seite Olivia de Havillands in der Hollywood-Adaption von Daphne du Mauriers
„Meine Cousine Rachel“. Die Bestseller-Autorin hatten ihn übrigens
höchstpersönlich für die männliche Hauptrolle vorgeschlagen. Amerikanische und
britische Zeitungen rühmten Burtons temperamentvolles Spiel. Im Februar 1953
erhielt er den Golden Globe, als „bester neuer Darsteller des Jahres 1952“, dazu
gesellte sich die erste von insgesamt sieben (!) Oscar-Nominierungen. Den Academy
Award sollte er niemals gewinnen, denn Hollywood meidet seit jeher die
Preisvergabe an genialischen Außenseiter.
Die 20th Century Fox nahm ihn fest unter Vertrag: Nach dem Zweiten-
Weltkriegs-Drama „Die Wüstenratten“ (1953) wirkte er als römischer Hauptmann
Marcellus, der, von seiner Teilnahme an der Kreuzigung Christi erschüttert, sich
dem christlichen Glauben zuwendet, im ersten Cinemascope-Film „Das Gewand“
mit. Der für seine Scharfzüngigkeit gefürchtete Kritiker Kenneth Tynan
prophezeite, dass Burton, der größte lebende Schauspieler werde. Ein Jahrzehnt
lang war er es – beinahe. Doch in den späten 1950er Jahren begann die Branche,
den Burton mit Melancholie zu betrachten. Sein eigener Agent Harvey Orkin
seufzte: „Dieser Mensch verkauft sich aus. Er will Anerkennung durch einen Trick
gewinnen.“ Abgesehen von der Leinwandversion von John Osbornes“ „Blick zurück
im Zorn“ (1959) nahm er eine zeitlang Bühnen-Gastspiele, Filmrollen und Musicals
(!) recht wahllos an. Nach „Cleopatra“ (1963) drehte „die große Liebe seines
Lebens“ Liz Taylor mit wenigen Ausnahmen wie „Telefon Butterfield 8“ (1962) oder
„Spiegelbild im goldenen Auge“ (1966) fast ununterbrochen mit ihm. Bis auf Mike
Nichols auf grandiose Weise zermürbendes Ehedrama „Wer hat Angst vor Virginia
Woolf?“ (1965/66), das den Beziehungskrieg der Burtons frei nach dem Motto „Sie
küssten und sie schlugen sich“ nahezu eins zu eins widerspiegelte, hagelte die
Kooperation entweder künstlerische („Hotel International“, „... die alles
begehren“, „Die widerspenstige Zähmung“) oder kommerzielle Flops („Die Stunde
der Komödianten“, „Hammersmith is out“, „A Little Night Music“).
Ein insgesamt hervorragender Film ist Peter Glenvilles „Becket“ (1963) nach
Anouilhs meisterlicher Tragödie von der Auseinandersetzung zwischen Geist und
Macht. König Heinrich II. (Peter O´ Toole) verbindet im 12. Jahrhundert eine tiefe
Freundschaft mit seinem Kanzler Thomas Becket (Burton). Sie verwandelt sich in
Hass, als der Monarch seinen alten Kumpan zum Erzbischof von Canterbury ernennt
und dieser nur noch die Sache der Kirche vertritt. Im Gedanken-Gefecht zwischen
dem König und seinem geistlichen Gegner ist O`Tooles Heinrich zweifellos die
intellektuellere Gestalt – und das hatte sich Anouilh wohl doch etwas anders
gedacht.
In Martin Ritts beklemmend-realistischen Spiongetriller „Der Spion, der aus der
Kälte kam“ sollte sich dann Richard Burton zwei Jahre später ein grandioses
Schauspiel-Duell mit Oskar Werner, der zuvor den „Becket“ am Wiener Burgtheater
weitaus eindrucksvoller gestaltete, liefern. Burton bezeichnete den Part des
abgehalfterten britischen Agenten Alec Leamas, der getarnt als DDR-Überläufer in
ein an diabolischer Doppelbödigkeit nicht mehr zu überbietendes Verwirrspiel des
Kalten Krieges verwickelt wird, selbst als die Rolle „die man nur einmal im Leben
bekommt“. Richard Burton spielt den pragmatisch-desillusionierten Leamas als
durchweg freudlose Erscheinung, widerborstig, ständig missgelaunt; ein Ekel. Wie
er das aber durchhält, immer neue Nuancen der Abstoßung erfindend und
praktizierend, wie er am Ende doch so etwas wie Mitgefühl bewirkt, das ist
schauspielerisch erste Klasse. Auf der Gegenseite gibt Oskar Werner als
ostdeutscher Abwehrmann eine aufregende Charakterstudie des intelligenten,
äußerlich unterkühlten Fanatismus. Die beiden trinkfesten Feingeister verstanden
sich nicht nur beruflich prächtig. Nach den Dreharbeiten spielten sie bei einer Feier
im Berliner Café Kranzler „Agenten beim Barbier“. Beim Kellner bestellten sie eine
Portion Schlagsahne, seiften sich die Gesichter ein und rasierten sich unter großem
Gelächter der anwesenden Gäste mit dem Besteck gegenseitig.
Nach diesem cineastischen Glanzstück, das Burton viel Kritikerlob, eine weitere
Oscar-Nominierung und die damals astronomische Gage von 250.000 Pfund
einbrachte, drehte er mit „Agenten sterben einsam“ (1968) einen weiteren,
allerdings mehr auf vordergründige, denn psychologische Spannung setzenden Film
des Genres. Auch die Ehe mit Elisabeth Taylor blieb turbulent. Trotz nicht enden
wollender Streitereien und Versöhnungen fanden die beiden noch die Zeit, ein Kind
zu adoptieren – das deutsche Mädchen Maria.1973 drehten die Burtons den TVZweiteiler
„Seine Scheidung, ihre Scheidung“, über den der TV-Kritiker Peter Black
schrieb: „Richard Burton schien sich bewusst zu sein, dass diese Leistung ihn zu
nichts führt. Er spielte geistesabwesend, so, als ob er irgend etwas verlegt habe
und könnte es nicht wiederfinden. Vielleicht sein Talent?“ Neben anspruchsvollen
Rollen wie der des Psychiaters in Equus – Blinde Pferde“ (1977), nahm er auch
solche an, die er nur des schnöden Mammons wegen spielte. Müde, ja fast
apathisch, stolperte er beim in Berlin gedrehten, vor Klischees kaum zu
überbietenden Wehrmachts-Spektakel „Steiner – Das eiserne Kreuz II“ durchs
(Studio)-Gelände. Seine zwei markanten Furchen von der Nase zum Kinn vertieften
sich immer mehr und schienen ihn förmlich herabzuziehen. Seinen Sinn für Humor
verlor er indes nicht: „Ich bin alt und grau und unheimlich talentiert.“, lautete sein
lakonischer Kommentar. Trotz seiner fünften Ehe mit der wesentlich jüngeren
Produktionsassistentin Sally Hay kam er von der Taylor nicht ganz los. Voller
Zuneigung sagte er trotz der zweiten Scheidung über sie: „Wir waren unerbittlich
aneinander gebunden. Und wenn ich tausend Jahre von ihr weglaufe, dann ist sie
immer noch mein liebes Kind. Unsere Liebe ist so rasend, dass wir einander bis auf
den Grund verbrennen.“ In Amerika spielte er gar Theater mit ihr, doch das Stück
„Privatleben“ kam beim Publikum, das fast zwei Jahrzehnte am selbigen der
beiden Weltstars brennend interessiert war, nicht sonderlich an. Ein künstlerisches
Comeback feierte Burton 1982 mit der Titelrolle in Tony Palmers aufwendiger
Richard-Wagner-TV-Serie. Den schauspielerischen Schlussakkord setzte er als
O`Brien ohne es zu wissen in Michael Radfords Remake von George Orwells
Dystopie „1984“. Am 5. August 1984 starb Richard Burton an den Folgen eines
Gehirnschlags im Kantonsspital in Genf. Er wurde in Celigny beigesetzt. Bei der
darüber hinaus stattfindenden Trauerfeier in London waren drei seiner vier
Gattinnen zugegen. Burton, der sich selbst als „ungeduldig, aufbrausend und
egozentrisch“ beschrieb, verbarg hinter seiner rauen Schale einen weichen Kern.
Seine Hunde verhätschelte er, Liz Taylor und seine aus erster Ehe stammenden
Töchter Kate und Jessica sowie Adoptivkind Maria liebte er geradezu abgöttisch:
„Liebe ist der höchste Grad von Toleranz. Toleranz bis zum Exzess. Wenn man
jemanden wirklich ehrlich und innig liebt – sein Kind, seine Frau -, dann muss man
sie auch trotz ihrer Fehler lieben. Man muss sie lieben, auch wenn sie zu Mördern
werden. Das allein ist für mich die allumfassende Liebe.“ An sich überflüssig zu
erwähnen, dass den walisischen Hitzkopf trotz manchen Fehlverhaltens sein immer
noch zahlreiches Publikum über seinen viel zu frühen Tod hinaus liebt und verehrt.
Marc Hairapetian